12. Dezember 2016

(Urteil des Monats) Umsatzsteuer: Vorsteueraufteilung bei gemischt genutzten Gebäuden

Lernfazit

Hinsichtlich der Vorsteueraufteilung bei einem gemischt genutzten Gebäude ist bei der Wahl der Methoden für die Bestimmung des Aufteilungsmaßstabs im konkreten Einzelfall darauf zu achten, welche Methode zu den präziseren Ergebnissen führt. Bei Eingangsumsätzen, die sich auf die Nutzung, Erhaltung oder Unterhaltung eines gemischt genutzten Gebäudes beziehen, hat allerdings stets eine Zuordnung zu den verschiedenen Ausgangsumsätzen zu erfolgen. Zwar wird bei den Herstellungs- und Anschaffungskosten der Flächenschlüssel gegenüber dem Umsatzschlüssel zum präziseren Ergebnis führen; dies ist aber nicht der Fall, wenn sich hinsichtlich der verschiedenen Räumlichkeiten erhebliche Unterschiede in der Bauweise ergeben. Dies ist im Einzelfall zu prüfen.

BFH, Urteil vom 10. 8. 2016 – XI R 31/09 [NAAAF-82840]

Leitsatz

  1. Bei der Herstellung eines gemischt genutzten Gebäudes kann für den Vorsteuerabzug – im Gegensatz zu den Eingangsleistungen für die Nutzung, Erhaltung und Unterhaltung – nicht darauf abgestellt werden, welche Aufwendungen in bestimmte Teile des Gebäudes eingehen; vielmehr kommt es insoweit auf die prozentualen Verwendungsverhältnisse des gesamten Gebäudes an.
  2. Bei der Herstellung eines solchen Gebäudes ermöglicht der objektbezogene Flächenschlüssel regelmäßig eine sachgerechte und „präzisere“ Berechnung des Rechts auf Vorsteuerabzug als der gesamtumsatzbezogene oder der objektbezogene Umsatzschlüssel.
  3. Die Neuregelung der Aufteilungsmethode für den Vorsteuerabzug durch den am 1. 1. 2004 in Kraft getretenen § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG kann eine Änderung der für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse i. S. des § 15a Abs. 1 UStG bewirken.
  4. Einer entsprechenden Vorsteuerberichtigung stehen weder die allgemeinen unionsrechtlichen Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes entgegen noch liegt darin eine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung in Vorjahre.

Sachverhalt
Die Klägerin, eine Grundstücksgemeinschaft, begann 2001 nach Abrissarbeiten den Bau eines Wohn- und Geschäftshauses mit Tiefgaragenstellplätzen. Die endgültige Fertigstellung erfolgte im Jahr 2004. Entsprechend den ursprünglichen Planung, einen Teil des Gebäudes umsatzsteuerpflichtig zu gewerblichen und einen Teil umsatzsteuerbefreit zu Wohnzwecken zu vermieten, ermittelte die Klägerin die abziehbare Vorsteuer aus den Abriss- und Baukosten nach dem Verhältnis der voraussichtlichen steuerpflichtigen zu den voraussichtlichen steuerbefreiten Ausgangsumsätzen (objektsbezogener Umsatzschlüssel).

Entgegen den ursprünglichen Planungen änderte sich im Jahr 2004 dieses Verhältnis, da weniger Teile des Gebäudes tatsächlich umsatzsteuerpflichtig vermietet wurden. Das FA erließ sodann einen Änderungsbescheid für die Umsatzsteuer 2004 und führte eine Umsatzsteuerberichtigung nach § 15a UStG durch. Hierbei legte das FA jeweils einen Flächenschlüssel bezogen auf die Nutzfläche zugrunde. Es war zu entscheiden, inwiefern dieses Vorgehen der MwStSystRL entspricht.

Grundsatzfragen

1. Ist bei der Vorsteueraufteilung auf einen objektbezogenen Flächenschlüssel abzustellen?
Art. 173 Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL bestimmt bei gemischter Nutzung einen Pro-rata-Satz für die Vorsteuer. Dieser Pro-rata-Satz wird nach Art. 174 Abs. 1 Unterabs. 2 sowieArt. 174 und 175 MwStSystRL für die Gesamtheit der vom Stpfl. bewirkten Umsätze festgelegt. Nach Art. 173 Abs. 2 MwStSystRL können die EU-Mitgliedstaaten jedoch hiervon abweichende Regelungen treffen. Damit kann hinsichtlich Eingangsumsätzen, die sich auf die Anschaffung oder Errichtung eines gemischt genutzten Gebäudes beziehen, eine von dem Umsatzschlüssel abweichende Aufteilung bestimmt werden, wenn die betreffende Zuordnung in der Praxis schwer durchführbar ist und die solchermaßen herangezogene Methode der Vorsteueraufteilung eine präzisere Bestimmung darstellt als die Anwendung des Umsatzschlüssels (EuGH, Urteil vom 9. 6. 2016 – Rs. C-332/14 [CAAAF-75425], Rn. 28, 31 ff.).

2. Wann ist die Zuordnung zu Gebäudeteilen zulässig?
Im Unterschied zu den Anschaffungs- oder Herstellungskosten für ein Gebäude ist die Zuordnung der für die Nutzung, Erhaltung oder Unterhaltung eines gemischt genutzten Gebäudes erworbenen Gegenstände und Dienstleistungen zu den unter Verwendung dieses Gebäudes ausgeführten unterschiedlichen Ausgangsumsätzen leicht durchführbar. Daher ist hier kein Abstellen auf einen Flächenschlüssel erlaubt (EuGH, Urteil vom 9. 6. 2016 – Rs. C-332/14 [CAAAF-75425], Rn. 29 f.).

3. Wann ist eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach § 15a Abs. 1 UStGdurchzuführen?
Der EuGH hat entschieden, dass, wie sich aus Art. 184 und 185 MwStSystRL ergibt, eine Vorsteuerberichtigung durchzuführen ist, wenn sich der Aufteilungsmaßstab für die Vorsteuer geändert hat. Dies gilt auch in den Fällen, in denen sich aufgrund der ab 1. 1. 2004 geltenden Regelung des § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG ein anderer Aufteilungsmaßstab für die Vorsteuer ergibt (EuGH, Urteil vom 9. 6. 2016 – Rs. C-332/14[CAAAF-75425], Rn. 37 ff., 48 ff.).

Aktuelle Entscheidung

1. Was sagt die Entscheidung aus?
Bei der Errichtung eines gemischt genutzten Gebäudes erweist sich eine Zuordnung der Eingangsumsätze zu den Umsätzen, für die dieses Gebäude verwendet wird (Ausgangsumsätze), in der Praxis als zu komplex und schwer durchführbar. Ein objektsbezogener Flächenschlüssel ist hier gegenüber einem Umsatzschlüssel regelmäßig die präzisere Aufteilungsmethode. Denn der Umsatzschlüssel hat nur pauschalen Charakter, weil er außer Betracht lässt, für welchen Bereich des Unternehmens die jeweilige Eingangsleistung bezogen wurde. Anderes gilt hingegen, wenn die Nutzflächen nicht miteinander vergleichbar sind, etwa wenn die Ausstattung der den unterschiedlichen Zwecken dienenden Räume erhebliche Unterschiede in der Höhe der Räume, der Dicke der Wände oder der Innenausstattung S. 724aufweisen. Führt solchermaßen die Anwendung des Flächenschlüssels zu keinem präziseren Ergebnis, gilt nach § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG der Umsatzschlüssel.

Kommt es somit zur Anwendung des Umsatzschlüssels, ist zu entscheiden, ob sich dieser an dem Gesamtbetrag der Umsätze des Unternehmens oder an den Umsätzen des einzelnen Objekts (Gebäude) orientiert. Hier ist dann wiederum die Methode zu wählen, welche die genaueren Ergebnisse liefert. Der objektsbezogene Maßstab ist zu wählen, wenn das Gebäude – wie im entschiedenen Fall – im direkten Zusammenhang zu Ausgangsumsätzen steht, da es vermietet wird. Demgegenüber ist der gesamtumsatzbezogene Umsatzschlüssel zu wählen, wenn das Gebäude für Umsätze des gesamten Unternehmens genutzt wird, wie dies bei Verwaltungsgebäuden der Fall ist.

Daraus ergibt sich, dass der Flächenschlüssel nicht nur dann zur Anwendung kommt, wenn er präziser als der Gesamtumsatzschlüssel ist, sondern es ist zudem zu prüfen, ober auch präziser als der objektsbezogene Umsatzschlüssel ist. Da die Klägerin hier jedoch nur Umsätze aus der Vermietung des streitgegenständlichen Gebäudes erzielte, ist nur eine diesbezügliche Gegenüberstellung des objektsbezogenen Flächenschlüssels zum objektsbezogenen Umsatzschlüssel vorzunehmen.

Dagegen ist die Zuordnung der für die Nutzung, Erhaltung oder Unterhaltung eines gemischt genutzten Gebäudes erworbenen Gegenstände und Dienstleistungen zu den unter Verwendung dieses Gebäudes ausgeführten verschiedenen Ausgangsumsätzen in der Praxis allgemein leicht durchführbar. Damit scheidet hier eine Aufteilung nach einem Flächenschlüssel aus.

Von der Rechtsentwicklung her ist zu beachten, dass § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG in seiner heutigen Fassung durch das Steueränderungsgesetz 2003 (BGBl 2003 I S. 2645) eingefügt wurde; zuvor galt die wirtschaftliche Zurechnung der Eingangsumsätze zu den Ausgangsumsätzen. Der BFH geht in diesem Zusammenhang mit dem EuGH davon aus, dass wegen dieser Gesetzesänderung eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach § 15a Abs. 1 UStG möglich ist.

2. Welche Neuerungen folgen aus der Entscheidung?
Der Wortlaut des § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG erscheint gegenüber Art. 174 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL sowie Art. 174 und 175 MwStSystRL zu einer Akzentverschiebung derart zu führen, dass hinsichtlich der Vorsteueraufteilung von Herstellungs- und Anschaffungskosten bei gemischt genutzten Gebäuden die Aufteilung nach dem Umsatzschlüssel subsidiär gegenüber anderen Aufteilungsmaßstäben wie dem Flächenschlüssel ist. Der BFH hat nunmehr im Einklang mit dem EuGH bestimmt, dass der nationale Gesetzgeber zwar vom Umsatzschlüssel abweichende Regelungen treffen darf, diese aber im Einzelfall zu präziseren Ergebnissen als der Umsatzschlüssel führen müssen.

3. Welche Konsequenzen folgen aus der Entscheidung?
Aus dem aktuellen BFH-Urteil folgt, dass der Flächenschlüssel im jeweiligen Einzelfalleiner konkreten Rechtfertigung bedarf. Es ist daher stets zu prüfen, ob der Flächenschlüssel gegenüber dem Umsatzschlüssel zum präziseren Aufteilungsergebnis führt. Dabei gilt, dass bei Eingangsumsätzen, die sich auf die Nutzung, Erhaltung oder Unterhaltung eines gemischt genutzten Gebäudes beziehen, stets eine Zuordnung zu den verschiedenen Ausgangsumsätzen zu erfolgen hat. Ein Flächenschlüssel scheidet insofern aus. Letzteres wurde bisher ansatzweise auch von der Finanzverwaltung so gesehen (vgl. Abschn. 15.17. Abs. 5 Satz 2 und 4 UStAE). Bei den Herstellungs- bzw. Anschaffungskosten ging die Finanzverwaltung davon aus, dass der Flächenschlüssel grds. die sachgerechtere Aufteilungsmethode ist und nur ausnahmsweise ausscheidet, wenn dies aufgrund der Bauweise des Gebäudes zu keinen sachgerechten Ergebnissen führt (Abschn. 15.17. Abs. 7 Satz 2 und 4 ff. UStAE; BMF, Schreiben vom 2. 1. 2014 – IV D 2 – S 7300/12/10002: 001 [SAAAE-52215], BStBl 2014 I S. 119, Tz. I.3). Hier verschiebt sich also die Sichtweise zu Gunsten einer konkreten Einzelfallbetrachtung.

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